In der September-Ausgabe vom 29.08.2014 gab es im Magazin „Schwulissiomo“ sowie unter www.schwulissimo.de einen Artikel, den wir freundlicher Weise hier wiedergeben dürfen.

Der Link dazu: 

http://www.schwulissimo.de/life_und_style/137599/PloetzlichschwulWennEhemaennerihreHomosexuali.htm

Plötzlich schwul? 

Wenn Ehemänner ihre Homosexualität entdecken

„Ich nehme dich zu meinem angetrauten Mann, ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens, in guten und in schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit. Bis dass der Tod uns scheidet.“ Ein Eheversprechen, das sich viele Männer und Frauen gegeben haben. Doch was ist wirklich an diesem Versprechen dran, wenn einer der Partner gar nicht heterosexuell ist? Gerade in vergangenen Jahrzehnten waren diese gemischtorientierten Ehen häufiger anzutreffen. Ein bisexueller oder homosexueller Partner, der aufgrund von fehlender Akzeptanz von der Gesellschaft und/oder sich selbst seiner Sexualität gegenüber eine heterosexuelle Partnerschaft und Ehe eingegangen ist, war und ist ein häufig anzutreffendes Phänomen. Ein Leben, in dem man seine homosexuelle Identität ausleben kann, kam für viele gar nicht in Frage. Doch mit den Worten „Ja, ich will!“ besiegelt man zwei Schicksale – sein eigenes und das Schicksal des Partners. Es mag eine zu große Herausforderung sein, sein Leben lang ein Doppelleben zu führen oder gar seine Sexualität zu unterdrücken. In den meisten Fällen gelangt ein Ehepaar eines Tages an den Punkt, an dem das Versteckspiel endet und die Wahrheit ans Licht kommt. Doch wie geht der heterosexuelle Partner damit um und welche Gedanken und Ängste kreisen in ihm, nachdem der angetraute Partner sich als bi- oder homosexuell geoutet hat? Diese gemischtorientierte Ehen („mixed-orientation marriage“) sind zu unterscheiden in Partnerschaften, in denen die Frau über die sexuelle Orientierung des Mannes von vornherein vollumfänglich Bescheid wusste, und solchen, in denen sie davon erst im Verlaufe der Ehe Kenntnis erhält. Häufig findet ein Coming-out des homo- oder bisexuellen Partners auch gar nicht statt. In der Literatur wird häufig nur von diesem Rollenverhältnis gesprochen, wobei es natürlich auch sein kann, dass die Frau der homosexuelle Part ist.

Vereinzelt kommt es vor, dass sich jemand, der in Bezug auf Verhalten und sexuelle Fantasien zunächst ausschließlich heterosexuell gelebt hat, im Verlaufe einer Ehe dem gleichen Geschlecht stärker hingezogen fühlt als dem eigenen Ehepartner. Fast immer allerdings ist die homosexuelle Orientierung von Anfang an vorhanden. Doch sind die Motive von schwulen und bisexuellen Männern wesentlich vielfältiger, als nur die Wahrung eines Scheins oder die Verschleierung der eigenen Identität. Der Wunsch, respektiert zu werden, keinen Anstoß zu erregen, sich vor Klatsch zu schützen, den Erwartungen der Eltern zu entsprechen oder so konfliktarm wie möglich durchs Leben zu kommen, sind nur einige davon. Auch im Job kann eine heterosexuelle Ehe immer noch die Karriere schützen und fördern. Bei vielen schwulen Männern, die eine heterosexuelle Frau heiraten, spielt internalisierte Homophobie eine Rolle. Sie erschrecken vor ihren homosexuellen Sehnsüchten und glauben, dass eine tiefe Bindung an eine Frau sie auf den „richtigen Weg“ führen wird. Sie empfinden zu ihrer Partnerin eine aufrichtige Zuneigung und sind bei ihr vor dem emotionalen Kontrollverlust und vor den Ungewissheiten der sexuellen Liebe geschützt. Viele haben einen starken Kinderwunsch. In der Ehe bauen schwule und bisexuelle Männer oft ein harmonisch-zugeneigtes Verhältnis zu ihrer Frau auf. Die über Freundschaft oder platonische Liebe nicht hinausgehenden Gefühle werden oft als „Liebe“ interpretiert. Nach den Theorien des Therapeuten Joe Kort sind homosexuelle Männer in den ersten sieben Jahren der Ehe in einem chemischen, romantischen Hoch. Nach etwa sieben Jahren fällt das Hochgefühl weg und ihre schwule Identität beginnt sich herauszubilden.

Manche bisexuelle Männer können ihre homo- und heterosexuellen Neigungen in einer gemischtorientierten Ehe weitgehend konfliktfrei ausleben. Hier ist es jedoch immer von Bedeutung, ob der Partner von der sexuellen Orientierung weiß oder nicht. Andere, die sich dem Partner gegenüber nicht outen, haben ein sauber getrenntes Doppelleben, in dem sie ihre homosexuellen und ihre heterosexuellen Handlungen und Gefühle strickt trennen. Auf dem ungeouteten Ehepartner liegt häufig eine unvorstellbare Last, die diesen krank oder depressiv machen kann. In einigen Fällen kann dies auch bis zum Suizidversuch führen. Das Coming-out gegenüber der Ehefrau fällt den meisten Männern sehr schwer, weil sie ihre Partnerin und die Kinder nicht verlieren wollen. Das Trümmerfeld, das nach dem Coming-out zurückbleibt, entspricht dem, was nach schwerwiegender und nicht verzeihbarer heterosexueller Untreue zurückbleibt. Etwa ein Drittel der Ehen endet sofort und ein weiteres Drittel kurze Zeit nachdem der homosexuelle Ehepartner seine sexuelle Orientierung bekannt gibt. Das verbliebene Drittel versucht, die Ehe noch einmal aufleben zu lassen. Wichtig hierbei ist es, dass Versuche, die die Beziehung in Bezug auf die eigene sexuelle Orientierung überdenken, meist erfolgreicher sind, als Versuche, bei denen man zum „alten“ Leben zurückkehrt.

SCHWULISSIMO sprach mit Martina (Name von der Redaktion geändert). Sie ist seit 21 Jahren mit ihrem Mann zusammen. Dass ihr Ehemann schwul ist, hat sie geahnt. Ein Schock war es nach dem Outing dennoch.

SCHWULISSIMO: Kannst du zum Einstieg ein wenig deine Lebenssituation beschreiben, wie du deinen Ehemann kennengelernt hast, wie es zu Hochzeit kam und wie die Ehe verlaufen ist?
Martina: Also mein Name ist Martina, ich bin 39 Jahre und mein Mann ist ein Jahr jünger. Wir sind bereits seit 21 Jahren zusammen und seit elf Jahren verheiratet. Da wir kirchlich sehr aktiv sind, haben wir uns auch über diese Weg damals kennengelernt, als mein Mann mit seiner Familie in unseren Ort gezogen ist. Nachdem wir zusammen gekommen sind, hat es allerdings noch zehn Jahre bis zur Hochzeit gedauert. Heute glaube ich zu wissen, dass mein Mann sich nie ganz schlüssig war, diesen Schritt zu gehen. Aber dennoch hat er mir versichert, ihn aus Überzeugung getan zu haben. Wir sind im Grunde genommen wirklich ein Dream-Team, verstehen und ergänzen uns in allem. Mit einer Ausnahme: Sex. Aber auch das war nicht immer so. Zudem haben wir uns auch Kinder gewünscht, was leider nicht geklappt hat. Nach sechs künstlichen Befruchtungen und zwei Fehlgeburten sind wir leider kinderlos. Wir reisen und unternehmen sehr viel zusammen.

SCHWULISSIMO: Wie kam es zu dem Outing deines Ehemannes? Zu welchem Zeitpunkt ist dein Mann mit der Wahrheit rausgekommen? Hat er sich selbst geoutet oder hast du es rausgefunden?
Martina: Im Grunde genommen habe ich schon immer geahnt, dass mein Mann schwul ist. Wir hatten bevor wir zusammengezogen sind jeder seine eigene Wohnung und jeder hatte von dem anderen einen Schlüssel. So kam es, dass ich damals dort einen homosexuellen Pornofilm gefunden habe. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich geschockt war. Aber ich habe mir dann gesagt, dass es wahrscheinlich nicht so schlimm ist und jeder schaut sich mal solche Filme an. Meinen Mann habe ich darauf natürlich nie angesprochen. Wahrscheinlich hatten wir beide Angst, die Wahrheit anzusprechen. Vor ca. zwei Jahren hat mein Mann angefangen, mit einem Mann zu chatten. Immer wenn ich in die Nähe meines Mannes bzw. des PCs kam, hat er den Bildschirm weggedrückt. Je häufiger er dieses Verhalten an den Tag gelegt hat, desto häufiger „musste“ ich natürlich an dem Zimmer vorbei. Es kam dann so weit, dass ich nicht mehr schlafen konnte und meinen Mann eines Nachts angesprochen habe, ob er auch auf Männer steht. Es kam erst keine Reaktion und nachdem ich eine Zigarette rauchen war, habe ich meinen Mann weinend im Bett vorgefunden. Es hat mir das Herz zerrissen und ich habe versucht, ihm gut zuzureden, dass wir das alles gemeinsam schon in den Griff bekommen. Wir haben schon so viel zusammen gemeistert, also warum nicht auch das, sagte ich mir. Zu dem Zeitpunkt habe ich aber nicht geahnt, dass er homosexuell ist. Ich dachte, er sei bisexuell. Aber das erklärte auch, warum wir kaum oder gar keinen Sex mehr hatten, was in mir immer die Frage aufkommen ließ: Was ist mit mir? Bin ich nicht attraktiv, zu dick, zu hässlich, oder, oder, oder? Nachdem es nun raus war, hatten wir wieder öfters Sex, was sich dann aber wieder einstellte. Auf eine Art war mein Mann erleichtert, dass es raus war, aber auf der anderen Art war sein Geheimnis nun gelüftet. Wir haben Nächte lang darüber geredet.

SCHWULISSIMO: Wie bist du selbst damit umgegangen, dass dein Mann schwul ist? Hast du ihn verstoßen oder hast du versucht, ihn zu verstehen? Wie geht ihr heute miteinander um?
Martina: Ich muss sagen, ich bin sehr verständnisvoll, mitfühlend und einfühlsam meinem Mann gegenüber – auch nachdem es herauskam. Ich habe meinem Mann zugesagt, dass es unter uns bleibt und er selber entscheiden muss, wann und ob er es öffentlich sagen möchte. Für mich persönlich ist er der gleiche Mensch und hat eine Persönlichkeit nichts mit der Sexualität zu tun. Bis heute habe ich es nur meinem Chef anvertraut und das nur, weil ich jemanden zum Reden brauchte. Ich habe sonst niemanden, dem ich davon erzählen kann, was manchmal sehr schwierig ist. Ich will nicht, dass mein Mann vor Freunden oder in der Familie anders dasteht, und machen wir uns nichts vor, er würde anders behandelt werden. Zumindest die erste Zeit, vielleicht bis Gras über die Sache gewachsen ist. Das will ich nicht! Mein Mann ist ein liebevoller, humorvoller, einzigartiger Mensch. Und ja, ich liebe ihn immer noch genauso wie „vorher“! Nachdem es dann zwischen uns offiziell war, ist mein Mann „losgezogen“ in Gaykinos. Meistens außerhalb von unserer Stadt, damit er nicht gesehen wird. Wir haben auch öfters Urlaub in Berlin gemacht, wo natürlich die „Szene“ mehr Möglichkeiten hergibt. Ich habe immer versucht, meinen Mann zu unterstützen und ihm gut zuzureden. Selbst ich war dann mehrfach in einer Gay-Disco mit. Mal fällt es mir leichter und mal schwerer, zu meinem Mann zu stehen.

SCHWULISSIMO: Wie fühlt es sich an, wenn dein Mann nicht mehr die Nähe zu dir sucht? Welche Möglichkeiten für euer zukünftiges Leben siehst du? Gibt es weiterhin ein Zusammenleben?
Martina: Ja, es tut weh, den eigenen Mann so zu sehen und ich habe ihm auch immer gesagt, dass ich bereit bin, ihn „frei“ zu lassen, wenn es ihm dann besser gehen würde. Ich habe keine Wut oder keinen Hass auf meinen Mann. Wir leben zusammen und wenn ich ehrlich bin, hoffe ich, dass ich diesen Menschen niemals verlieren werde. Wenn ich ihn vielleicht auch nicht mehr als Ehemann haben werde, dann wenigstens noch als Freund. Ich möchte keine Trennung, würde ihn aber ziehen lassen, damit er „endlich“ anfängt, zu leben! Auch für ihn muss es bisher ein schweres Leben gewesen sein, nicht so sein zu können, wie er wirklich ist.

SCHWULISSIMO: Hast du jemals das Gefühl gehabt, dass du eine Schuld trägst, dass dein Mann homosexuell ist? Was waren die ersten Gedanken, nachdem du die Wahrheit gehört hast?
Martina: Natürlich habe ich daran gedacht, dass ich schuld bin! Was habe ich nur falsch gemacht? Ich war und bin mir immer sicher, dass ich alles zu seinem Wohle mach(t)e. Ich bin immer bemüht, dass er sich zu Hause wohlfühlt, aber manchmal reicht das nicht. Ich denke sehr oft, dass ihm der Sex fehlt. Jeder Mensch braucht Zuneigung und Bestätigung. Außerdem tut er mir manchmal einfach leid, weil er nicht er selbst sein kann. Es tut mir weh, wenn er leiden muss. Ich würde ihm so gerne helfen, aber ich weiß nicht wie. Aber es tut auch mir teilweise weh, denn wenn man jemanden liebt, dann will man ihn ja für sich alleine haben. Mich nimmt die Situation so sehr mit, dass ich psychisch erkrankt bin.

SCHWULISSIMO: Was kannst du anderen Ehefrauen raten, die vermuten, dass sie in einer ähnlichen Situation stecken wie du oder die bereits erfahren haben, dass ihr Mann homosexuell ist?
Martina: Tja, das ist sehr sehr schwierig, denn jeder Mensch reagiert anders auf so eine Situation und ein Coming-Out des Mannes. Aus diesem Grund kann ich auch leider niemanden davon erzählen, denn ich würde nur auf Unverständnis treffen, was ja vielleicht auch normal wäre. Wahrscheinlich würde ich auch so reagieren, wenn es mir jemand erzählen würde. Die Reaktion wäre vor allen, dass man mir zur Trennung raten würde. Wie schon gesagt, für mich ist der Mensch an sich sehr wichtig und nicht seine sexuelle Neigung. Ich weiß nicht, was das Beste für uns beide ist. Ich glaube auch nicht, dass ich meinem Mann egal bin, denn ansonsten hätte er es nicht so lange mit mir ausgehalten. Ich denke einfach, es ist eine andere Liebe zu mir. Ich finde, auch wenn es sehr schwer ist, sollte man seinem Mann zuhören und versuchen, ihn zu verstehen. Teilweise sind die Männer, glaube ich, einfach nur in ihrer Rolle gefangen. Wenn die Gesellschaft heute nicht immer noch so reagieren würde, dann würden sich mit Sicherheit noch mehr Männer zu ihrer Homosexualität bekennen. Es ist ein heikles Thema und leider findet man im Netz auch nicht all zu viel Informationen bzw. Literatur darüber. (sr)


Hier ist ein Artikel aus nw-news.de (Neue Westfälische) vom 25.08.2014

Dieser Artikel wurde von Martin entdeckt.

Der Link dazu:

http://www.nw-news.de/owl/bielefeld/mitte/mitte/11223224_Das_Ende_eines_Doppellebens.html

 

Was mich immer wieder erstaunt ist die Tatsache, dass es überwiegend Journalistinnen sind, die sich mit dem Thema „Schwuler Ehemann und Vater“ befassen. Frauen scheinen hier weniger Berührungsängste zu haben und gehen mit dem Thema sensibler um.

 

Norbert

 

 

Erstellt im August 2014

Das Ende eines Doppellebens

Wenn ein verheirateter Mann seine Homosexualität spät entdeckt

 

VON KATRIN CLEMENS

 

 

Bielefeld. Ehefrau, Kind, ein eigenes Haus mit Garten - Jahrelang lebte Michael Schmidt (Name geändert) das klassische Modell der bürgerlichen Kleinfamilie. Bis zu dem Tag, an dem seine Frau herausfand, dass er schwul ist.


"Ich hätte, glaube ich, nie den Mut gehabt, es zu sagen", sagt Michael Schmidt heute. Jahrelang war seine Homosexualität ein streng gehütetes Geheimnis. Zwar schaute Schmidt sich schon als Jugendlicher im Wäschekatalog lieber Männer- als Frauenmodels an. Doch die Frage, ob er vielleicht schwul sei, schob er beiseite.


"Ich dachte dann jedes Mal: "Das kann nicht sein, das darf nicht sein" und habe den Gedanken wieder verdrängt", sagt der heute 45-Jährige. "Ich bin den Weg des geringsten Widerstandes gegangen und habe das gemacht, was die Gesellschaft von mir erwartet hat."

Erst als Schmidt schon mehrere Jahre verheiratet war und bereits einen Sohn hatte, zog ihn die Neugier zum ersten Mal in eine Sauna für Schwule. "Da konnte ich zum ersten Mal offen mit jemandem reden." Während seiner Kindheit und Jugend in einem konservativen Elternhaus mitten in Ostwestfalen sei das Thema Homosexualität tabu gewesen.

Als Familienvater knüpfte er die ersten Kontakte zur Schwulenszene, machte Bekanntschaften in Chats und hatte hin und wieder Affären während Dienstreisen. Dabei achtete er darauf, alle Spuren auf Computer und Smartphone zu verwischen. "Ich habe immer alles akribisch gelöscht, aber als hätte es so sein sollen, hatte ich eine SMS vergessen", sagt Schmidt. Genau die las eines Abends seine Ehefrau und stellte ihn zur Rede.

Ihre Reaktion war überraschend: Sie machte ihrem Mann nur wenige Vorwürfe und hatte sogar Verständnis für die Qualen, die ihm das jahrelange Versteckspiel bereitet hatte. "Dann haben wir 14 Tage lang jeden Abend zusammen geheult", erzählt Schmidt. Irgendwann machte seine Frau ihm ein ungewöhnliches Angebot: Sie würde seine Affären mit Männern akzeptieren, solange er ihr nichts mehr verschwieg. "In dem Moment war es für mich die optimale Lösung - ich konnte meine Familie behalten, mein Gesicht wahren und trotzdem ein Stück weit so leben, wie ich es seit langem wollte", sagt Schmidt.

Ein gutes Jahr lang blieben beide ein Paar, niemand erfuhr von Schmidts Homosexualität oder seinen Affären. Seine Frau begleitete ihn sogar auf Partys mit dem Motto "Gaypeople and Friends". "Das waren fast die schönsten 14 Monate unserer Beziehung", sagt Schmidt rückblickend. Endlich habe es keine Geheimnisse und unterdrückte Gefühle mehr gegeben. Irgendwann entschied sich seine Frau dann aber doch, die Beziehung zu beenden.

"Für mich ist in dem Moment eine Welt zusammengebrochen", sagt Schmidt. Plötzlich waren lauter Ängste da: vor der Trennung, dem Hausverkauf, dem Outing, der Reaktion von Eltern, Freunden und Geschäftspartnern. Und vor der schwersten Hürde: Irgendwie musste er seinem damals neunjährigen Sohn von seiner Homosexualität erzählen.

In einer Beratungsstelle bekam er den Tipp, möglichst offen und unaufgeregt zu sein. Sein Sohn sei zwar traurig darüber gewesen, dass er aus seinem bisherigen Zuhause ausziehen sollte. Dass sein Vater nun Männer liebte, sei für ihn allerdings kein Problem gewesen. "Ich denke, er hat vor allem deshalb nicht darunter gelitten, weil wir keinen Streit hatten", meint Schmidt. In der Schule gab es zwar einige Hänseleien, doch die habe der Grundschüler einfach mit Schweigen quittiert.

Bis heute ist das Verhältnis zwischen den Eltern freundschaftlich. Mittlerweile leben sie getrennt. Der inzwischen zwölfjährige Sohn verbringt ab und an die Wochenenden bei seinem Vater. Wesentlich toleranter als erwartet waren auch die Reaktionen von Freunden und Verwandten auf Schmidts spätes Coming-out. Gerade erst haben beide Familien zusammen den Geburtstag des Sohnes gefeiert.


Wie eine Frau das späte Coming-out ihres Ehemannes erlebt hat. Der Bericht einer Ehefrau.

Aufgezeichnet von Justine Calbery; 5. August 2014; für das Schweizer Magazin "Annabel"

 

Und hier der Link dazu: 

http://www.annabelle.ch/liebe/partnerschaft/coming-out-im-ehebett-wenn-mann-auf-m%C3%A4nner-steht-34854?page=0%2C2

 

Coming-out im Ehebett: Wenn der Mann auf Männer steht

Die Jahre vergingen, mein Mann war seit dem Vorfall merklich entspannter, die Kinder entwickelten sich prächtig, und wir zogen in ein neues Haus. Einige unserer Freunde hatten Eheprobleme, und ich war glücklich, dass wir unsere Krise überwunden hatten. Dann begann er sich erneut von mir abzukapseln. Er blieb bis spätabends im Büro, und morgens surfte er stundenlang im Internet. Es gab längere Phasen, in denen wir nicht miteinander schliefen, er war unzugänglich und aggressiv.

 

Trotzdem hatte ich Vertrauen in unsere Beziehung, er war ein guter Vater und mein bester Freund. Wir konsultierten einen Eheberater, aber die Spannungen blieben. Eines Morgens entdeckte ich eine Dating-Site für Schwule in unserem Computer, die er zu löschen vergessen hatte. Als ich ihn damit konfrontierte, sagte er, dass er möglicherweise bisexuell sei. Er gestand, sich mit Männern getroffen zu haben, versprach aber, es nicht wieder zu tun. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wir umarmten uns, und es flossen viele Tränen, bei ihm und bei mir. Er flehte mich an, ihn nicht zu verlassen, und versicherte mir, dass er mich liebe.

 

Ich glaube, er wollte wirklich mit mir zusammenbleiben. Er hatte «diese Gefühle», wie er sich ausdrückte, wollte ihnen aber keinen Raum geben. Ich überwand meinen Stolz, steckte meine Verzweiflung weg und versuchte, ein normales Leben zu führen. Doch die Geschichte nagte in mir weiter. Als er von einer Auslandsreise zurückkehrte, fiel mir auf, dass seine Berichte widersprüchlich waren. Dabei konnte er mir nicht in die Augen sehen. Später schickte er mir aus Versehen eine eindeutige Textnachricht, die an einen Mann gerichtet war. Ich weiß noch, wie ich ihn anbrüllte: «Warum kannst du mir nicht einfach die Wahrheit sagen? Sag mir endlich die Wahrheit!»

 

Rücksicht auf die Familie

Wir vereinbarten, uns vorübergehend zu trennen. Nach ein paar Wochen ging es ihm so schlecht, dass er mich anflehte, ihn wieder aufzunehmen. Ich willigte ein, mit Rücksicht auf die Familie und das, was uns verband. Ich sah, dass er um mich kämpfte, und als er mich bat, die Krise mit ihm zu überwinden, versuchten wir es erneut. Doch es war eine Verschwörung des Schweigens. Als ob ein dunkler Geist unser Leben zerstörte. Immer wieder stiess ich auf Spuren im Computer, die von Liebschaften mit Männern zeugten. Zwei Jahre lang ignorierte ich die Warnsignale. Wohl um ihn zu schützen – und weil ich ihn noch immer liebte.

 

Schon seltsam. Während er sich von seinem Geheimnis befreite, hatte ich das Gefühl, dass mir eines aufgeladen wurde. Für ihn war sein spätes Coming-out ein Befreiungsschlag. Er fand Ermutigung und Anteilnahme in Selbsthilfegruppen. Und als er endlich er selbst war, stand ich allein vor dem Scherbenhaufen – ohne Beistand, ohne Zuspruch.

 

Wir lernten uns als Teenager kennen. Er war furchtbar nett und wurde von den Mädchen umschwärmt. Trotzdem hatte er nur Augen für mich. Sechs Wochen später hatten wir als eines der ersten Paare in unserem Freundeskreis geheiratet. Es schien so selbstverständlich: Wir liebten uns, hatten den gleichen Humor, mochten die gleichen Dinge. Es hatte sofort gefunkt. Ich werde oft gefragt, ob es damals keine Hinweise gab, wie es um seine Sexualität stand. Die Antwort lautet: Nein. Wir sprachen oft davon, einmal als uraltes Ehepaar zu enden – wie Philemon und Baucis. Mir gefiel die Vorstellung, und ich denke, ihm auch.

 

Eine ganz normale Ehe

An unserem ersten Hochzeitstag war ich im siebten Monat schwanger. Zwei Jahre später erwartete ich unser zweites Kind. Wir zogen aus unserem kleinen Häuschen in ein grösseres Haus, das Leben drehte sich um die üblichen Dinge – die Kinder zur Schule bringen, den Alltag organisieren, Dinnerpartys mit anderen glücklich verheirateten Paaren. Die Jahre vergingen ereignislos, unser Sexleben war normal, auch wenn es meist nach seinen Vorstellungen lief. Möglich, dass da etwas gefehlt hatte; eine bestimmte Intimität, die Leidenschaft, aber ich hinterfragte das nicht, vielleicht lag es ja auch an mir.

 

Als wir sieben Jahre verheiratet waren, begann ich mir Sorgen um meinen Mann zu machen. Er verhielt sich nervös, war oft wütend und distanziert. Wenn ich mit ihm reden wollte, blockte er ab. Eines Abends, wir hatten ein bisschen zu viel getrunken, gestand er mir seine Männerfantasien. Es sollte harmlos klingen, doch ich war fassungslos. Was wollte er mir damit sagen? War er schwul? Er reagierte entrüstet und beendete das Gespräch. Am nächsten Morgen war alles unter den Teppich gekehrt. Ich liebte ihn so sehr, dass ich mir einredete, sein Geständnis vom Vorabend hätte nur in meinem Kopf stattgefunden.

 

Die wenigen Freunde, die davon wussten, waren hilfsbereit, aber auch verständnislos und überfordert. Sie sahen die Dinge schwarz-weiss. Ich müsse mich von ihm trennen, das sei doch sonnenklar. Sie konnten nicht verstehen, dass uns noch immer vieles verband. Dass wir uns verzweifelt ans Philemon-und-Baucis-Märchen klammerten und uns nichts mehr wünschten, als zusammen alt zu werden. Wenigstens waren unsere Kinder bereits über zwanzig, als wir uns endgültig trennten. Wir verkauften unser Haus, und bis heute macht es mich furchtbar traurig, wenn ich daran vorbeifahre.

 

Mein Mann bekennt sich nun offen zu seiner Homosexualität, während es mir noch immer schwer fällt, nicht wütend darüber zu sein. Eine gute Freundin hat kürzlich erfahren, dass ihr Freund eine Affäre mit einer jüngeren Frau hatte. Die Leute in ihrem Bekanntenkreis fühlen mit ihr, trösten sie, können nachvollziehen, was sie durchmacht. Aber heterosexuelle Frauen, die mit einem homosexuellen Partner verheiratet sind, stoßen im Freundeskreis schnell auf Ratlosigkeit. Selbsthilfegruppen für Betroffene sind selten.

 

Ich bin nicht gestärkt aus der Krise hervorgegangen und habe kein neues Leben gewonnen. Ich trauere um den Mann, den ich liebte, um die Ehe, in die ich zwanzig Jahre investierte, und um die Zukunft, um die ich mich betrogen fühle. Vor einiger Zeit habe ich eine Therapie begonnen. Seither habe ich das Gefühl, dass es wieder aufwärts geht. Ich lerne, mich auf die Gegenwart zu konzentrieren, Schritt für Schritt mein Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Ich singe oft, mache lange Spaziergänge. Und ich spreche offen darüber, was mir passiert ist. Keine Geheimnisse mehr!


Hier ist ein Artikel von Bettina Less, NDR Info vom 06.08.2013

 

Dazu der passende Link:

http://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Und-dann-war-ich-offiziell-schwul-,entscheidungen145.html

Das Coming-Out

Ralf war 14 Jahre mit einer Frau verheiratet. Erst nach der Trennung hatte er sein Coming-Out.

 

Ralfs Leben verlief lange genau so, wie alle es von ihm erwartet hatten: Er lebte als Hetero, heiratete, führte ein unauffälliges Leben. Dann verließ ihn seine Frau für einen anderen. "Wenn man 14 Jahre verheiratet ist und dann plötzlich alleine dasteht, ist da ein ganz großer Krater. Sie hatte jemanden, und ich war alleine. Das ist eine sehr frustrierende Situation", schildert Ralf seine Gefühlslage nach der Trennung.

 

Es war aber auch eine Situation, in der der damals 39-Jährige viel über sich nachdachte. Darüber, wer er ist, was er will, und was vielleicht fehlt - vielleicht auch schon damals gefehlt hat, in der Pubertät, in einer Kleinstadt im Saarland, als er die ersten Male Gefühle für andere Jungs hatte. "Wenn man dann nicht den Mut oder die Persönlichkeit hat, dazu zu stehen, den Eltern gegenüberzutreten oder keinen Ansprechpartner hat, da habe ich das erst mal schön weggepackt in mir. Und habe dann erst mal ein anderes Leben gelebt", erzählt er. 

Ralf nimmt seinen ganzen Mut zusammen

Auch später in Hamburg, nach der Trennung von seiner Frau, zögerte Ralf eine Entscheidung noch eine ganze Weile heraus. Weil er ahnte, dass es vielleicht keinen Weg zurück geben würde. Dann, an einem Abend, als er wieder einmal alleine in seiner Wohnung saß, nahm er seinen ganzen Mut zusammen: "Ich wollte es dann wissen. Ich habe mein Laptop aufgeklappt und mich in so einem Forum angemeldet." Als er dort die ersten Kontakt knüpfte und die ersten Treffen mit Männern hatte, wusste er: "Das ist es!" 

Nicht mehr länger im Verborgenen leben

Aber vieles musste Ralf jetzt neu lernen. Verhaltensweisen, die er seit der Jugend in Bezug auf Frauen kannte, galten nicht mehr. Er wusste nicht, wie er bei Männern ankommt, und er wusste vor allem nicht, wie sein Coming-Out in seinem Umfeld aufgenommen werden würde: "Es war eine generelle Angst abgelehnt zu werden, dass sich irgendwas verändern könnte, dass Menschen eine andere Einstellung bekommen. Deswegen habe ich damals beschlossen, diesen neuen Aspekt in meinem Leben erstmal zu verstecken."

 

Irgendwann war er aber neu verliebt. Der Druck wurde immer größer, das mitzuteilen. Er wollte nicht mehr länger im Verborgenen leben. Mit sehr mulmigem Gefühl verabredete er sich mit seiner Ex-Frau. Er befürchtete, dass sie die gemeinsam verbrachte Zeit in Frage stellen könnte - aber das tat sie nicht: "Ich habe mich mit ihr getroffen, in einem Café auf neutralem Boden, und habe ihr gesagt, ich hätte jetzt auch wieder jemanden. Dann habe ich aber gesagt, es ist aber keine Frau mehr, sondern es ist jetzt ein Mann. Daraufhin hatte sie Tränen in den Augen und meinte, sie wünscht mir alles Glück." 

"Das bin ich, das ist mein Leben jetzt"

Nach diesem Gespräch machte er es auch im Job und in der Familie offiziell. Zwar reagierten nicht alle so gelassen wie seine Ex-Frau, aber seine Erleichterung ist trotzdem riesig: "Manchmal kommen blöde Kommentare, und manchmal wird man einfach nur schief angeguckt. Aber mit der Zeit steht man da drüber." Ralf lächelt zufrieden und lehnt sich zurück. "Das bin ich jetzt. Das war vorher zwar auch ich, aber nicht wirklich zu 100 Prozent. Jetzt ist es endlich stimmig. Das ist mein Leben jetzt."